bis 1914
Die Anfänge des Schützenwesens
Grundsätzlich kann das maximilianische Landlibell von 1511 als offizielle Geburtsurkunde des Tiroler Schützenwesens bezeichnet werden, welche nach entsprechenden Verhandlungen mit den Landständen vom kaiserlichen Landesfürsten erlassen und besiegelt worden ist. Die Bezeichnung „Libell“ kommt daher, dass diese Urkunde wie ein Heft bzw. wie ein kleines Büchlein oder eben ein „Libell“ mehrere Seiten umfasst. Besonders hinzuweisen ist dabei überdies, dass diese Vereinbarung nicht allein mit den vier Tiroler Ständen der Prälaten und des Adels, sowie der Städte und Gerichte akkordiert worden ist, sondern auch mit den mit der Grafschaft Tirol konföderierten Hochstiften oder geistlichen Fürstentümern Brixen und Trient.
Das Schützenwesen in Welschtirol
Bereits ein halbes Jahrhundert vor dem Landlibell von Kaiser Maximilian finden wir in der Gegend von Trient die ersten Beweise, dass es dort auch schon Schützen gegeben hat. Am 20. Mai 1468 fragte der Fürstbischof von Trient, Johannes Hinderbach, den Grafen Sigismund von Tirol, ob er über einige Schützen für die Verteidigung seines Bischofsitzes im Castello del Buonconsiglio verfügen könnte. Es ist das erste Mal, dass in einem Dokument das Wort „Schützen“, Verteidiger, aufscheint. Am 10. August 1487 schickten viele Welschtiroler Gemeinden dem Erzbischof von Trient solche Verteidiger zu Hilfe, um die venezianischen Truppen bei Calliano aufzuhalten. Am 24. Juni 1511 wurde zwischen dem Kaiser von Österreich, Maximilian I. von Habsburg, und den beiden Fürstbischofen von Trient und Brixen eine militärische Vereinbarung unterschrieben.
Im Text, dem sogenannten Landlibell von 1511, legte der Kaiser fest, dass im Kriege die Landesverteidigung von Welschtirol und Tirol einem Landsturm anvertraut wird, welcher – abhängig vom Ausmaß der Bedrohung – aus 5.000 bis 20.000 Männern bestehen sollte. garantiert wurde, dass sie nie für offensive Maßnahmen außerhalb der eigenen Grenzen eingesetzt werden. Für die einzelnen Bezirke entschied eine zentrale Behörde, der Fürstbischof von Trient oder die Regierung in Innsbruck, über die Anzahl der zu mobilisierenden Kompanien.
Diese Kompanien umfassten eine Höchstanzahl von 120 Mann, welche anfänglich von den Welschtirolern „sizzeri“ oder Heimatverteidiger genannt wurden. Das Kommando lag in den Händen eines Hauptmanns, während der Kompanie immer ein Fähnrich mit der Fahne vorausging. Die Schützen waren in der Mehrzahl Freiwillige, welche das Recht auf Verpflegung, Waffen und eine tägliche oder monatliche Entschädigung hatten. In jeder Gemeinde wurde ein Schießstand gebaut, wo die Eingeschriebenen zwischen April und November im Schießen übten. Dies musste mindestens vier Mal erfolgen, wobei mindestens sechzig Schüsse abzugeben waren. In den Gemeinden, welche eine Kirche hatten, wurde jeden Sonntag ein Schuss während des Evangeliums und der Wandlung abgegeben.
Die Schützenkompanien nahmen immer an den religiösen und zivilen Festen teil, ebenso an Prozessionen, an den öffentlichen Aufmärschen und bei Schießwettbewerben am Schießstand. Gerade bei letzteren Veranstaltungen war die Teilnahme zahlreich, weil Preise und Trophäen zu gewinnen waren.
In den Kompanien gab es auch Frauen, „vivanderie“, Marketenderinnen. Sie versorgten die Schützen täglich mit Lebensmitteln, waren als Köchinnen tätig und kümmerten sich um die Verwundeten und die Toten.
Die Schützenkompanien mobilisierten sich immer nur für Verteidigungszwecke.
Die bedeutesten Einsätze der Schützen waren:
- im Jahre 1487 in Calliano, wo sie die venezianischen Truppen, welche Trient bedrohten, zurückwarfen;
- während des Dreißigjähren Krieges (1618 – 1648), als sie an den Grenzen Tirols den Vormarsch der schwedischen Truppen aufhielten, welche bis zu diesem Zeitpunkt in ganz Deutschland erfolgreich gewesen waren;
- im spanischen Erbfolgekrieg (1701 – 1714), als sie den französischen Marschall L.J. Vendôme zwangen, auf den Durchmarsch durch die welschtiroler Täler zu verzichten; er wollte sich auf diese Weise mit den bayrischen Verbündeten im Vinschgau vereinen;
- in der Mobilisierung gegen Napoleon und die französisch – bayrischen Truppen (1796 – 1809); in der Folge dieser Erhebung stellten allein die verschiedenen Kompanien Welschtirols eine Anzahl von 15.000 Mann;
- in den Jahren 1848, 1859 und 1866; in der Zeit de Unabhängigkeitskriege in Italien kamen gut 16.000 Schützen dem regulären Heer bei der Verteidigung der Südfront des Reiches zu Hilfe;
- im Jahre 1915 rief Kaiser Franz Josef die Kompanien – welche unter dem Namen Standschützenkompanien militarisiert wurden – zur Verteidigung des Landes und zur Abwehr des unerwarteten italienischen Angriffs auf Östereich auf. Das reguläre östereichische Heer war zu dieser Zeit in Galizien gegen Russland im Einsatz, in der tragischen Auseinandersetzung des Ersten Weltkrieges.